★THEMA: SELBSTVERLETZENDES VERHALTEN (SVV)★
Da es gestern ganz viele geteilte Meinungen über meinen Post mit dem Selfie von mir und meiner Selbstzverletzung im Gesicht gab, möchte ich gerne genauer erklären, wie das alles so passiert und warum wieso weshalb, man sich eigentlich selbst wehtut. Was muss in einem Menschen, vor allem in einem jungen Menschen vorgehen, wenn er sich absichtlich und aller Folgen bewusst selbst verletzt: Schneiden oder Ritzen mit Rasierklingen, Messer, Glasscherben, Scheren. Oder Kratzen, Kneifen und Beißen bis das Blut austritt. Oder den Kopf gegen die Wand schlagen. Sich verbrennen bis Schürfwunden entstehen. Vielleicht sogar die eigenen Knochen brechen oder – unfassbar – sich ein Auge ausreißen. Dabei der Hinweis, man verspüre (fast) keine Schmerzen. Was sind das für Menschen, vor allem aber welche Hintergründe, Ursachen, Belastungen, Ereignisse treiben sie zu solchen Taten? Ist das eine Art Selbsttötungs-Versuch oder eine eigenständige Störung? Vorab kann ich sagen, keiner macht es, weil er Spaß daran hat oder so mit Suizid drohen will. Meist ist das Selbstverletzen sogar eine Art Ventil, um eben NICHT dem Suizid nachzugehen. Häufig tritt dieses Verhalten bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung auf, aber WICHTIG: NICHT JEDER BORDERLINE VERLETZT SICH SELBST! Selbstverletzungen entstehen häufig als Reaktion auf belastende Umstände und daraus hervorgehende Gefühlszustände, die die Betroffenen nicht anders kontrollieren können. Betroffene, die sich selbst verletzen, scheinen zum großen Teil Schwierigkeiten zu haben, mit ihren Gefühlen umzugehen bzw. diese zu kontrollieren. Als Motiv für SVV steht an erster Stelle der Wunsch, innere Spannung abzubauen, häufig wird auch Selbstbestrafung als Funktion beschrieben. Betroffene berichten davon negative Gefühle wie Einsamkeit, Angst oder Aggression durch Selbstverletzungen abschwächen zu können. Es ist für manche die subjektiv einzige Möglichkeit, mit Problemen oder schmerzlichen Erlebnissen umzugehen - eine Art Bewältigungsstrategie. Während einer Verletzung schüttet der Körper „Glückshormone“ aus, so genannte Endorphine, die zunächst zu einer Schmerzunterdrückung führen. Diese Ausschüttung körpereigener Endorphine kann möglicherweise bei vielen das Bedürfnis nach Wiederholung auslösen. Besonders häufige Methoden des selbstverletzenden Verhaltens sind: -Schnitte durch Messer, Scherben, Rasierklingen oder andere scharfe Gegenstände. Dabei reicht die Tiefe der Wunden von “nur” oberflächlich bis zu wirklich tief. -Zufügen von Wunden durch Kratzen bzw. das immer wieder Aufkratzen alter Wunden-Fingernägel abreißen oder abbeißen bis zum Nagelbett -Das Ausreißen der Haare am Körper -Das Schlagen mit dem Kopf an Wände oder auf Tische -Das Schlucken von Medikamenten oder auch Chemikalien, wie z.B. Spülmittel -Auspowern des Körpers durch Sport bis zur totalen Kraftlosigkeit -Hungern bis zum Zusammenbruch -Sich selbst schlagen Es werden also dem Körper absichtlich Wunden oder andere Schädigungen zugefügt. Was auch dazu gehört ist das riskante Selbstschädigen, also ein indirektes Verhalten, das in das selbstschädigende Verhalten mit einspielt. Hierzu gehören Aktionen wie: -Schnelles Autofahren -Klettern ohne Seil -Balancieren über große Höhen -riskanter Sex -Kleptomanie usw.. Es wird also in Kauf genommen, durch Unfälle Verletzungen zu erleiden, die bis in den Tod führen können bzw. durch auffälliges Verhalten, die soziale Situation zu schädigen. Zusätzlich zum selbstschädigenden Verhalten zählt die große Untergruppe der Süchte. Borderliner leiden oft an einer inneren Leere und Langeweile, sie sind unmotiviert, verspüren einen Druck oder sind depressiv. Durch Drogen jedoch können diese Gefühle sich plötzlich umdrehen: Sie verspüren plötzlich Glück, sie sind euphorisch, sie fühlen sich stark oder mutig. Allerdings hält dieses Gefühl nicht lange an oder genauer gesagt nur so lange, wie die Droge wirkt. Um wieder das schöne Gefühl zu erleben, wird wiederum die Droge konsumiert, ein Teufelskreis entsteht. Betroffene B.S. schrieb: „Ich habe oft mein Gesicht verunstaltet, sprich solange gekratzt bis ich riesige Wunden hatte. Jetzt das Kranke: So fühlte ich mich hübsch! Ich konnte mich als Normalo nicht sehen im Spiegel. Der Selbsthass zerfrisst mich.“ Bei mir ist es immer aus verschiedenen Gründen. Meist passiert es ungewollt. Ja ihr lest richtig. Ungewollt schürfe ich mir das Gesicht auf. Es ist wie eine innere Stimme oder oft sogar so, als wäre ich eine Marionette, geführt von meinen Dämonen, die mich dann ins Bad bringen und mir sagen: "Schau in den Spiegel und guck dir mal an, wie nutzlos du bist! Du bist ein einfaches NICHTS! Und jetzt denk mal ganz scharf nach, was du dagegen tun kannst? Füge dir was zu, was dich einzigartig macht! Na los! Mach es! Du bist stark, du hältst diese Schmerzen aus! Na komm schon!"... & somit greife ich nach einem rauen Handtuch und scheuere drauf los. Vielleicht nehme ich auch meinen Kopf, weil sich da 90% meiner Erkrankung abspielt und ich das Gefühl habe, so alles kurz auf "Stumm" stellen zu können. Es ist wie eine Art kleines Luftloch, was ich da mache für die ganzen unaushaltbaren Gedanken und Gefühle. So eine Art "durchlüften". Ich habe mich nun seit 3 Monaten nicht mehr verletzt und darauf bin ich auch ein bisschen stolz. Aber seit Wochen plagt mich wieder dieser Druck, es wieder zu tun. Und mit jedem Tag, an dem ich dem standhalten konnte, wurde dieser Druck stärker. Bis ich dann gestern nicht mehr gegen an halten konnte. Schon am Abend davor lag ich im Bett und habe mir vorgenommen: "Morgen machst du das jetzt aber endlich mal wieder!" Und sobald ich dann allein Zuhause war, stand ich im Bad , habe nach einem rauen Handtuch gegriffen, angesetzt und gescheuert. Während ich das mache, schaue ich mir selbst immer ganz tief dabei in die Augen. Um zu sehen, wie stark ich doch eigentlich bin, dass ich diese ganzen Schmerzen aushalten kann! Ich weine bitterlich, aber es tut auch gut auf eine bestimmte Art und Weise. Hätte ich es gestern nicht getan, hätte ich das komplette Gefühl einer Versagerin in mir getragen. Seit Wochen verleitet mich mein Gefühl dazu und jetzt wo ich es mir vornehme, kneife ich wieder? Ich Angsthase! So eine Versagerin, das gibt's ja gar nicht! Ich hatte das tiefe Bedürfnis mir zu beweisen, dass ich das noch kann. Dass ich diese ganzen Schmerzen noch aushalte, dass ich noch stark genug bin und auch Kontrolle über mich habe. Denn wenn ich das Gefühl habe, mein komplettes Leben entgleitet mir mal wieder und läuft völlig außer Kontrolle, ist das Selbstverletzen etwas, was mir einen Teil dieser Kontrolle wieder zurückgibt. Es mag ein Stück weit, ein Schrei nach Aufmerksamkeit sein, aber nicht so wie ihr es denkt. Ich meine, jeder der psychisch krank ist, dürfte das kennen. Wenn man wirklich Tage lang leidet und keiner es wirklich sieht, weil man eine Seele nun mal nicht sehen kann, wünscht man sich einfach mal gesehen zu werden. Und für mich ist es der Schrei danach: "Schaut her! Ich bin krank! Ich habe auch ein großes 'Aua'!" Denn ihr seht nur diese "kleine Stelle" an meinem Kopf, aber ich muss mit den Schmerzen der komplett zerbrochenen Seele leben. Meine Gedankengänge, wenn ich damit raus gehe sind: "Die Leute denken bestimmt, ich wäre gestürzt, aber bin trotzdem wieder aufgestanden und lebe noch! Die denken bestimmt, -Mensch ist die stark, dass sie solch eine Verletzung, und das auch noch am Kopf, einfach so wegsteckt-." Denn jetzt mal ehrlich, wer würde auf die Idee kommen, ich wäre das selbst gewesen? & wenn man sichtbare Verletzungen hat, dann hat doch jeder Mitgefühl. Stellt euch mal vor, ich hätte genau dieses Foto gestern gepostet und hätte dazu geschrieben: "Ich bin vorhin gestürzt, aber es ist alles halb so schlimm, ich bin ja hart im Nehmen!ツ" Dann wären mit Sicherheit keine Kommentare gekommen wie: "Du brauchst nur Aufmerksamkeit! - Das geht zu weit! - Du Poserin!", denn jeder würde mich für stark halten, weil ich mich von einer Schramme nicht unterkriegen lasse. Ich weiß, es mag völlig verrückt alles klingen und das ist es ja auch irgendwie, aber ich wollte euch ein wenig Einsicht ist das ganze geben, damit ihr vielleicht ein wenig Akzeptanz zeigt. Verständnis dafür verlange ich gar nicht, denn das kann man glaube ich gar nicht aufbringen. Falls sich jemand Sorgen macht, kann ich euch beruhigen, ich bin in Behandlung, allerdings habe ich bei meiner neuen Therapeutin erst die 2. Sitzung gehabt, daher wird es noch dauern, bis ich die richtige Therapie mit ihr starten kann. Ich hoffe, ich konnte euch das ganze, wenn auch nur ein wenig, verständlicher machen. ♥ツDanke, dass Du Dir Zeit genommen hast um meine Zeilen zu lesen, das bedeutet mir wirklich sehr viel! ♥ツ